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Inhalt dieser Seite

 

 

 

Mit Hirn und Drang zum Unorthodoxen: "Wie der Neandertaler den Kebab erfand"

 

 

 

Hat das spießige Gesicht der Kinderbuchwelt verändert: "Der Zauberstrand"

 

 

 

"Gehen Sie mir nicht mit Marketingkonzepten auf die Nerven"

Ein Interview mit Haakon Auster

 

 

 

In die Hände von freiheitsliebenden Kindern:

"Dreißig Geschichten von Tante Mila"

 

 

 

Für besondere Geschmäcker: "Meat"

 

 

 

Absolut verrückt, Maßstäbe setzend: "Fünf Hunde erben 1 Million"

 

 

 

Kennt noch Kindheit: "Die Geige am Meeresgrund"

 

 

 

Als Lisa ins Heim kam und irgendwie auch „heim“ kam...: "Lisa"

 

 

 

Die andere Freiheit von Salmiak: "Salmiak und Spocke"

 

 

 

Sie tun Dinge, von denen man nicht so genau sagen kann, was sie sollen: völlig bekloppte Lösungen von Mauri Kunnas

 

 

 

Von Mäusen, nicht von Menschen "Neuigkeiten von den Mäusefamilien U, Hu und Si“, das letzte Buch aus Helmar Bierings Mäusetrilogie lässt sich den Leser herzlich egal sein. Es tut ihm gut.

 

 

 

Coco fährt Rad

 

 

 

Nicht beiläufig, Nikolaus Heidelbach: "Wenn ich groß bin, werde ich Seehund"

 

 

 

Wunderschöne, ungeschriebene Geschichte. Gaëtan Dorémus: Nicht ohne Teddy

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abstrusestes Kinderbuch aller Zeiten?

Thomas Müller: „Die Amsel“

Von Daniel Ableev

 

Dies ist eine überraschend seltsame Geschichte, deren junger Protagonist eines Abends nach dem Fußballspielen plötzlich den „mitten ins Herz“ treffenden Gesang einer Amsel vernimmt. Im nächsten Moment findet er sich, nachdem er eine Art Raumzeitstrudel erfolgreich passiert hat, auf einer fremdartigen, womöglich außerirdischen Insel wieder, wo er die Bekanntschaft der Eingeborenen macht, die gerade in eine unverständliche Zeremonie vertieft sind. Schon bald soll der Junge mit der schönen Königstochter verheiratet werden. Doch plötzlich geschieht etwas, und die Stimmung schlägt ins Feindselige um, sodass der Junge fliehen muss. Zum Glück hängt ein rettender „Spross“ vom Himmel, durch dessen Ergreifen der Junge in den Weltraum befördert wird, nur um im nächsten Augenblick vor seiner Haustür zu landen. Der Autor hat einen stark gezeichneten, in wunderschöne Grün-Töne getauchten Eskapismus komponiert, der allerdings das eine oder andere Kindchen aufgrund von gewagter Plotsprünge verwirren dürfte.

 

Thomas Müller: „Die Amsel“

Passage-Verlag, 2014

52 Seiten, 16,90 Euro

ISBN: 978-3954150229

 

 

 

 

Hoch

 

 

 

Wunderschöne, ungeschriebene Geschichte

Gaëtan Dorémus: Nicht ohne Teddy

Von Steffen Wunder

 

Auf einer Insel herrschen sechs mächtige Tiere in ihren Reichen. Im mittleren Teil der Insel lebt der Bär mit seinem Teddy. Doch eines Nachts stiehlt ihm der Fuchs sein Stofftier. Der Bär merkt das sofort und verfolgt den Fuchs. Darauf schleudert dieser den Teddy weg. Wütend verschlingt ihn der Bär. Der Teddy ist ihm Reich des Löwen gelandet. Als dieser ihn findet, gibt auch er ihn nicht dem Bären zurück, um ihn zu ärgern. Er wirft den Teddybären über eine Klippe. Nun wird auch der Löwe vom Bären verschluckt. Der Bär klettert auf einen Felsen, denn sein Lieblingsspielzeug ist im Nest des Geiers gelandet. Doch bevor er sein Ziel erreicht hat, wird der Stoffbär vom Geier davongetragen. Aus Trotz frisst der Bär die Eier im Nest. Auf seiner weiteren Suche begegnet er dem Elefanten, der wie alle Tiere zuvor den Teddy findet, aber nicht hergeben möchte. Auch er wird verschlungen. Das letzte Tier, der Oktopus, überlässt das Plüschtier dem Bären. Darauf ist er wieder beruhigt und holt alle Tiere aus seinem Bauch heraus.

Dies hört sich wie die Zusammenfassung einer Geschichte an, die einmal mit Worten erzählt wurde. Doch „Nicht ohne Teddy“ kommt ohne ein einziges geschriebenes Wort aus. Allein die Bilder treiben die Handlung voran. Dennoch dürfte jedem sofort klar werden, was in der Geschichte passiert. Woran liegt das?

Zu Beginn und am Ende des Buchs befindet sich eine Karte der Insel, auf der die Handlung spielt. Wie Ernest Shepard und Tolkien, die ebenfalls eine Karte zu Beginn ihrer Geschichten voranstellen, gelingt es Dorémus dadurch einen guten Überblick über den Handlungsort zu schaffen und eventuell Erwartungen zu wecken. Durch eine detailreiche Darstellung jeder Handlungsphase – eine Seite hat manchmal auch zwei Bilder – wird auch ohne Text klar, was geschieht und was die Figuren vorhaben. Aber auch deren Gestik und Mimik sagen viel aus. Als beispielsweise der Fuchs den Teddy wegschleudert, werden an seiner Körperhaltung Hohn und Schadenfreude deutlich. Ein weiteres Kriterium ist hier zu erkennen: Es werden zentrale Momente auf den Bildern abgebildet. Man sieht an der erwähnten Stelle, wie der Stoffbär gerade durch die Luft fliegt und nicht dass er bereits verschwunden ist, wodurch Unklarheiten auftauchen könnten. Ein weiterer Grund für die starke Erzählkraft der Bilder sind die gewählten Perspektiven. Zum Beispiel gibt es ein Bild, auf dem der Bär um seinen Teddy trauert. Er sitzt dabei auf einem Hügel und ist leicht von unten zu sehen. Man sieht ihn aus der Ferne, im Panorama einer wüsten Landschaft. Die Einsamkeit und seelische Leere ist zu spüren. Dazu kommt der Ausdruck der Farben. So werden in traurigen Momenten dunkle Farben, die eine düstere Stimmung vermitteln, verwendet. Aber auch Raumverhältnisse werden durch Farben ausgedrückt. Weite Gebiete und unendliche Leere wird durch helle Farben dargestellt, besonders am Ende, wenn der Bär ans Meer kommt. Ein letztes Faktum, das zur leichten Verständlichkeit der Geschichte ohne Text beiträgt, ist, dass Nicht-Sichtbares sichtbar gemacht wird. Man sieht hin und wieder, was sich im Bauch des Bären abspielt. Von Anfang an wird dadurch klar, dass alle Tiere, die der Bär verschlingt, nicht umkommen, sondern in seinem Bauch weiterleben. Durch all diese Eigenschaften der Bilder dieser Geschichte wird klar: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.

Dass die Bilder eine zusammenhängende Geschichte klar vermitteln, ändert nichts an einem Punkt, der die reine Bildergeschichte von einer Bild-Text-Inderdependenz unterscheidet: Durch den fehlenden Text gibt es mehr Deutungsmöglichkeiten. Man kann rätseln, ob es sich bei dem ersten Tier tatsächlich um einen Fuchs oder nicht doch um einen Wolf oder ein ähnliches Tier handelt. Genau so kann man es unterschiedlich auslegen, ob der Bär gemein ist, weil er alle Tiere verschlingt, oder einfach nur verzweifelt, weil er von allen geärgert wird. Je nachdem, auf welche Details besonders Wert gelegt wird und welche übersehen werden, entsteht bei jedem Betrachter im Kopf eine andere Geschichte. Und beim zweiten Ansehen des Buchs kann wieder eine andere entstehen. Aber man kann auch einen Text dazu erfinden, besonders wenn ein Erwachsener die Geschichte einem Kind „vorliest“. Auch hier entstehen unterschiedliche Geschichten, je nachdem wer zu den Bildern erzählt. Zudem kann dadurch die Tradition des freien mündlichen Erzählens aufrecht erhalten werden, die um einiges persönlicher ist als das Vorlesen.

Auch optisch bietet das Buch jede Menge Spaß. Der einfache Zeichenstil mit Buntstift erinnert an ein Kinderbild. Dennoch unterscheiden sich die Figuren und Landschaften durch einen einheitlichen und einzigartigen Stil, den Bewussten Einsatz von Farbe und die Darstellung von Licht- und Schattenverhältnissen von einem kindlichen Gemälde.

Der Humor in „Nicht ohne Teddy“ liegt darin, dass sich wilde, mächtige Tiere wie Kinder benehmen und sich dabei gegenseitig das Spielzeug wegnehmen, um sich zu ärgern. Doch niemand will dem anderen wirklich etwas Böses antun. Schließlich befreit der Bär wieder alle Tiere aus seinem Bauch, wenn er seinen Teddy wieder hat. Am Schluss ist der Bär übrigens deutlich größer und dicker als am Anfang, weil er sich durch das Verschlucken der Tiere ausgedehnt hat. Auch das sorgt für Komik.

„Nicht ohne Teddy“ ist eine wunderschöne, ungeschriebene Geschichte, die man nicht nur erzählt bekommt, sondern auch entdecken muss.

 

Gaëtan Dorémus

"Nicht ohne Teddy"

Aracari Verlag, Euro 12,90

Gebunden, 28 S

ISBN 978-3905945232

 

Hoch

 

 

Nicht beiläufig

Nikolaus Heidelbach: "Wenn ich groß bin, werde ich Seehund"

Von Lennart Ragmann

 

Ein Grundmotiv mit märchenklassischen Zügen: „Wenn ich groß bin, werde ich Seehund“, erzählt und gemalt von Nikolaus Heidelbach. Es beginnt alles mit einer völlig erstaunlichen Feststellung: „Schwimmen habe ich nie gelernt, ich konnte es schon immer.“ Der Junge, der das von sich sagt, taucht, springt, schwimmt Fischen hinterher, glatt und biegsam. Aber wie ein Fisch sieht er nicht aus, mit seiner ganz normalen Badehose (wahrscheinlich Adidas) und der Taucherbrille, die Kinder so gern aufhaben. An dem Jungen ist sonst aber auch alles anders, er wohnt in einem grauen Haus am Meer, nur seine Eltern und er, „abseits vom Dorf“, weit weg von der Mehrheitsgesellschaft. Darum kann der Junge schwimmen, wann immer er der Mutter nicht helfen muss. Ihr gemeinsames Zweierleben (der Vater ist Fischer und tagelang weg) handelt von den Geschichten vom Meer und davon, was die Mutter darüber Wundersames zu erzählen weiß. Diese Traumbilder stellen über Seiten und ohne Worte der Hauptteil der Illustrationskunst Heidelbachs. Eines Nachts beobachtet der Junge, wie der Vater etwas versteckt, er spioniert hinterher: Es ist ein Seehundfell! „Der Papa ist ein Seehund!“ Doch die Mutter verneint. Als der Junge aufwacht, ist die Mutter verschwunden. Die Mutter ist der Seehund! Ab jetzt - allein mit dem Vater. Hätte er nicht der Mutter verraten, wo das Fell ist, wäre sie noch da! Oder?

Die Erzählung hat etwas Melancholisches, es ist eine schöne, bewegende Kindererzählung. Das Kind im Konflikt - einsam, nach eigener Schuld suchend.

Die Illustrationen verwirren, weil sie das Abstoßende zelebrieren. Gleichzeitig sind die Landschaftsbilder bewegend und passen genau zur Stimmung des Buches. Dieses Buch verlangt, dass man Stellung bezieht, dass man sich äußert. Es erzwingt vom Betrachter, nicht beiläufig zu sehen, und das ist allein zum Vorteil des Betrachters.

(Ab 5)

 

 

Nikolaus Heidelbach (Text und Bilder):

Wenn ich groß bin, werde ich Seehund

32 Seiten, Euro 14,95

Beltz 2011

ISBN 978-3407794437

Größe 25,2 x 25 x 0,8 cm

 

Hoch

 

 

Zeitlos trotz Zeitkolorits

H.A.Rey: „Coco fährt Rad“

Von Matthias Winterfeld

 

„Coco fährt Rad“ ist ein eigensinniges Buch. Es ist zeitlos trotz Zeitkolorits. Zum einen äußerlich. Es ist sehr angenehm, wenn Altes nicht in Neues verpackt wird – hier wurde das klassische Design innen wie außen beibehalten. Das wirkt fast wie ein Faksimile der fünfziger Jahre!

Wenn man als Rezensent mein Alter hat, der „Coco“ noch aus der Kindheit kennt, aber nicht so alt ist, dass es ein neues Buch gewesen ist  -  nein, „Coco“ war ein abgerissener Fetzen, ein altes, zerlesenes Buch  -  wenn man „Coco“ vor Augen hat, dann weckt der kleine Affe warme Erinnerungen. Man riecht förmlich den Staub der Buchseiten.

So geht es manchen Erwachsenen. Kindern nicht.

Deshalb ist „Coco fährt Rad“ auch als ein ganz neues Buch zu betrachten. 

Es gibt also etwas, das beweist „Coco“ zu allererst, wie eine zeitlose bildliche Darstellung für Kinder. Es ist eindeutig nicht mehr der Stil von heute, doch die Illustration spricht Kindern aus der Seele. Sie begreifen sie sofort, und sie ergreift sie sofort. Detailliert und bunt, aber weiß Gott nicht wimmelbücherig, sondern klar und einfach, mit dem Mut für sich zu stehen, ohne Rahmen bis an die Ränder geführt; und auf so schöne Art koloriert!

Die Bilder erdrücken die Geschichte nicht. Sie hat ihren Charme: Ein kleiner Affe, der bei seinem Freund wohnt; jener hat ihn aus dem Dschungel mitgebracht. Solche Einstiege sind in Zeiten der Ethik für jedermann nicht mehr erlaubt; könnte ja der Ruch anhaften von Tierquälerei oder Kolonialismus.

Coco bekommt zu seinem dritten Jahrestag von seinem Freund ein Fahrrad geschenkt. Nun kann er beim Zeitungsaustragen helfen! Los geht’s, doch anstatt Zeitungen auszuliefern, bastelt Coco Schiffchen aus dem Zeitungspapier und lässt sie zu Wasser. Coco sorgt dafür, dass er viel erlebt, und so landet er schließlich abends im Zirkus. Da, wo er eh hingehen wollte! Mit seinem Freund. Der sitzt im Publikum und findet seinen Coco deshalb wieder.

Kleine spannende Unglücke sind es, ohne jede Bösartigkeit, für Kinder bleibt alles im Erträglichen. Es gibt keine Strafe dafür, so zu sein und zu handeln, wie es gerade gefällt. Es gibt nicht viele Bücher dieser großen Geste Kindern gegenüber. 

(ab 5)

 

Hans Augusto Rey:

„Coco fährt Rad“

Diogenes 2008

47 S., Euro 16,90

ISBN 978-3257008395

 

Hoch

 

 

Von Mäusen, nicht von Menschen

„Neuigkeiten von den Mäusefamilien U, Hu und Si“, das letzte Buch aus Helmar Bierings Mäusetrilogie, lässt sich den Leser herzlich egal sein. Es tut ihm gut.

Von Jan Fischer

 

Wenn es denn nur die Mäusefamilien U, Hu und Si wären, dann ginge es ja noch. Dann könnte man noch einigermaßen durchsehen. Aber zu diesen drei nicht eben kleinen Familien kommen noch Nachbarn, Lauftrainer, Tanztrainer, Lehrer, Kollegen sowie die Bewohner eines Mäusealtersheimes, außerdem neben Mäusen noch fünf andere Spezies von der Ohrlaus bis zur Katze. Als mehr oder weniger einziges Distinktionsmerkmal haben alle Namen, die sich kein Mensch merken kann, wie Dazi oder Ge-Na.

Dieses ganze Personal verteilt  Helmar Biering auf einen Acker und lässt es 90 lose zusammenhängende Geschichten erleben, in denen es mal um echte Bedrohungen für das Mäuseleben geht, wie ein gescheitertes Kidnapping eines Mäusekindes durch einen Menschen, mal wenig Aufregendes wie einen Tag der Schulklasse auf dem Spielplatz.

Geschrieben ist „Neuigkeiten von den Mäusefamlilien U, Hu und Si“ in einer Sprache, die sich weder scheut, Familienoberhäupter konstant als „family-Chefs“ und Katzen als „Katzentiger“ zu bezeichnen, mal ganz abgesehen von einer Vorliebe für Brachialsynonyme und einem Satzbau direkt aus der Vorhölle des eingeschobenen Nebensatzes mit freundlicher Unterstützung des nachgeschobenen Verbs. Nimmt man das unüberschaubare Personal und Bierings bis zur Widerborstigkeit angeschrägte Sprache zusammen, müsste ein unlesbares Buch dabei herauskommen.

Dass es das nicht ist, liegt an dem Charme, mit dem es sich entzieht: „Neuigkeiten von den Mäusefamilien U, Hu, und Si“ ist kein Buch, das es einem einfach macht. Aber ist es ein Buch, das es einem charmant schwer macht. Denn soviel man diesem Buch vorwerfen kann, man kann ihm weder einen Mangel an Ideen noch Mittelmäßigkeit vorwerfen. Es ist widerborstig, ja, und verlangt genaues Lesen, wenn man nicht komplett den Überblick verlieren will. Anders gesagt: Es ist kein gefälliges Buch, das sich mal eben wegliest, weder für Kinder, noch für Erwachsene. Nicht, dass es ein richtig gutes Buch wäre, dafür ist es zu hölzern, zu chaotisch. Aber dieses Chaos kommt nicht davon, dass das Buch schlecht gemacht wäre. Im Gegenteil. Es ist geschrieben, um chaotisch zu sein. Das macht es zu einem ungewöhnlichen Buch, ungewöhnlich insofern, als dass es sich den Leser vollkommen egal sein lässt, als dass es sich keine Mühe gibt, sich ihm anzubiedern, sondern ihn zum Kampf herausfordert. Den – das Risiko muss man eingehen – das Buch vielleicht gewinnt.

 

Helmar Biering

Neuigkeiten von den Mäusefamilien U, Hu und Si

Utz Verlag 2008

202 Seiten, 14,80 Euro

ISBN: 978-3831613717

 

 

 

Der Rezensent hat zuletzt publiziert: "Zwischen zwei Welten. Zum Verhältnis von Erwachsenen - und Kinderliteratur" sowie "Als ich jung war, gab es nur 150 Pokémon"  (beide Schriftenreihe Essays zur Kinderliteratur, Autumnus Verlag)

 

Hoch

 

Sie tun Dinge, von denen man nicht so genau sagen kann, was sie sollen: völlig bekloppte Lösungen von Mauri Kunnas

 

(librikon) Opa Dragomir und die Sippe der Beißwütigen ist ein Buch für Monate. Die einzelnen kurzen Geschichten, mal mit Pointe, mal mit Kalauer, mal mit Patentlösungen, immer mit Blödsinn und völlig bekloppten Lösungen, könnte man sich an jedem Ersten zu Gemüte führen, um mit diesen Typen, die wohl mal Vampire waren, jetzt aber wie aus einem Stück von Beckett entsprungen ein absurdes, sinnfreies Leben führen. Oder, um nicht ganz so hoch zu greifen - die Alten in dem Buch sind wieder auf Kinderstatus gedrückt, sie tun Dinge, von denen man nicht so genau sagen kann, was sie sollen. Skurrile Scherze neben lächerlichen Einfällen. Der Autor Mauri Kunnas ist Finne. Zu dem ganzen Gewimmel bilden die schlichten Sätze einen irritierenden Gegensatz, wie auch das Verhältnis von Text und Bild schwer einzuschätzen ist. Das Buch ist nichts für jedermann.

 

Hoch

 

Die andere Freiheit von Salmiak

"Salmiak und Spocke"

 

(librikon) Salmiak wohnt in einem kleinen Ort. Seine  Mutter kann es in diesem Ort nicht aushalten. Deswegen zieht sie nach Stockholm. Salmiak bleibt beim Vater und bei der Großmutter zurück. Er hat nur einen Freund, der heißt Spocke und ist ein Kobold.  Salmiaks Vater verarbeitet das, was Salmiak ihm von Spocke erzählt, zu einem Computerspiel. Es bringt Geld ein. Nun können Salmiak und sein Vater der Mutter hinterherziehen. "Salmiak und Spocke" von der schwedischen Autorin Mina Nilsson bewegt so, weil Kinder- und Elternleben, Kinder- und Elternglück als diametrale Gegensätze darstellt. Das Thema ist Freiheit: Die Erwachsenen haben ganz andere Vorstellung von Freiheit als Kinder. sie üben sie anders aus, und sie sind es, die die Kindern nehmen, was ihnen Freiheit bedeutet. "Salmiak und Spocke" hat eine einfache Geschichte, die durch die darunterliegenden Konflikte Dramatik entwickelt. Auch den mitlesenden Erwachsenen geht es nicht mehr aus dem Kopf.

 

Moni Nilsson
Salmiak und Spocke
Mit Bildern von Sonja Bougaeva
Gerstenberg 2007, 176 S.
ISBN 978-3-8067-5144-4
EUR (D) 12.90

 

Hoch

 

Als Lisa ins Heim kam und irgendwie auch „heim“ kam...

Eine Buchempfehlung von Herbert Wittl, edition buntehunde

 

Unzählige Bilderbücher beschreiben das Leben in der Familie. Aber nicht wenige Kinder und Jugendliche müssen darauf verzichten, in einer intakten Familie aufzuwachsen. Viele Kinder leben in Kinderheimen. Und gerade ist eine politische Debatte über „Kinderarmut“ in unserem Land im Gange.
Gemeinsam mit sechs Kindern aus dem Thomas-Wiser-Haus (www.thomas-wiser-haus.de) haben drei pädagogische Fachkräfte das Bilderbuch „Lisa ... und dann kam ich ins Heim“ entwickelt, geschrieben und gestaltet, um den Lebensalltag als „Heimkind“ zum öffentlichen Thema und transparent zu machen. Das Ziel: „Vielleicht finden unsere Kinder auf diesem Weg eine Lobby in der Gesellschaft?“

Das Thomas-Wiser-Haus ist eine heilpädagogische Einrichtung der Jugendhilfe im bayerischen Regenstauf nahe Regensburg. Hier werden etwa 70 Kinder zwischen 3 und 18 Jahren in sieben Kinder- und Jugendwohngruppen und zwei Tagesgruppen betreut.

„Ins Heim kommen“ ist ein schwieriger Schritt für Kinder und ihre Familien.
Im „Lisabuch“, wie es von den Projekt-Beteiligten kurz genannt wird, schildert Lisa ihre ganz persönlichen Erfahrungen auf dem Weg von zuhause ins Heim, die Aufnahme und den ersten Tag dort. Persönlich betroffene Jungen und Mädchen des Thomas-Wiser-Hauses haben hier ihre eigene Geschichte aufgegriffen und erzählt. Die Projektion auf eine „fiktive“ Lisa erleichterte ihnen den Umgang mit dem bedrückenden, selbst Erlebten und ermöglichte die Reflexion in der Gruppe – sowohl beim Erzählen und Schreiben der Geschichte als auch beim Malen der Bilder.

Die edition buntehunde gründete sich sozusagen selbst mit der Buch-Publikation der „Lisa-Erzählung“, die bis dahin nur als sozialpädagogisches Ausstellungsprojekt „Lisa ... und dann kam ich ins Heim“ bestand. Damit erfüllte sich nicht nur der berechtigte Wunsch aller am Projekt des Thomas-Wiser-Hauses Beteiligten, sondern auch der Wunsch des Miniverlages, vorwiegend Bücher zu machen, die einen besonderen Charakter haben, nicht in gängige Schablonen oder Trends passen und deshalb chancenlos bei größeren Verlagen sind.

Beim Lisa-Projekt trifft dies wohl alles zu. Und noch mehr: Es besteht die tiefe Überzeugung, dass es diese Arbeit dringend verdient, als Publikation herausgebracht zu werden. Allein der methodische Ansatz, auf die beschriebene Weise den Kindern im Heim ihr eigenes Leben in unserer Gesellschaft bewusst darstellen zu lassen, verdient höchste Aufmerksamkeit. Die intensive und emotional dichte Gestaltung sucht ihresgleichen. Und schließlich die „Moral von der Geschicht’“, dass Lisa nicht nur „ins Heim“ kommt sondern wirklich „heim“ kommt, eröffnet eine sehr hoffnungsvolle Perspektive.

Bei derlei Veröffentlichungen kleiner Verlage geht es laut Kulturstaatsministerin Christina Weiss (2004 auf der Leipziger Buchmesse) oft um das „kulturelle Gedächtnis des Landes“ und weiter: „... eigentlich müsste die Kulturnation selbst sich die Förderung solcher Verlage zur Aufgabe machen.“

Dies wird wohl ein frommer Wunsch bleiben!

Aber der Weiss’schen Feststellung, „Engagierte Verlage, die nicht mit einem großen Publikum rechnen können, haben kaum eine Chance zu überleben“, können auch Sie, die Librikon-LeserInnen, entschieden entgegen wirken, nämlich indem Sie die Literaturen aus den Nischenverlagen den allgegenwärtigen Mainstream-Büchern vorziehen oder etwa die Kunde vom „Lisabuch“ in Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis verbreiten und für das Buch Mundpropaganda machen. Denn dieses – aus einem fundierten, sozialpädagogischen Projekt hervorgegangene – Buch von Kindern für Kinder und Erwachsene lenkt den Blick der Gesellschaft auf eine sozial ausgeblendete Minderheit. Kaufen Sie es für sich selbst, für Freunde und Bekannte, für treue Kunden und liebe Gäste! Nehmen Sie die Geschichte von der Lisa mit in Ihre Welt hinaus, und erzählen Sie davon!

Nicht nur Lisa wird es Ihnen danken!

Lisa ... und dann kam ich ins Heim

 

Hrsg.: Thomas-Wiser-Haus

ISBN 978-3-934941-00-7

12,90 Euro (D)

 

 

 

Hoch

 

Kennt noch Kindheit: "Die Geige am Meeresgrund"

(librikon) Ein Bilderbuch von 1982, in dem noch gemacht wird, was man will – in dem noch gemacht wird, was gut für ein Kinderbuch ist. Hanebüchen geht es zu in „Die Geige vom Meeresgrund“ von Heinrich Hannover. Keine Chance, die Handlung in einige plausible Sätze zu fassen! Kleiner Versuch: Der Ozeanriese sinkt, auf dem Meeresgrund verfasst Herr Klops ein Testament, das irgendwann gefunden wird. Herr Klops war gar nicht gestorben, aber als er vom Auffinden seines Testamentes hörte, da starb er flugs. In Zeiten, in denen Kinderleben noch nicht von Effektivitätsgedanken und Kindheitsvergessenheit geprägt waren, da ging so ein Buch. Es geht noch heute. Aber verlegen tut so etwas keiner mehr. 

 

Hoch

 

 

Absolut verrückt, Maßstäbe setzend: "Fünf Hunde erben 1 Million"

(librikon) Hans Traxler hat viele Bücher gemalt und geschrieben, er ist richtig bekannt. In Ehren gehalten werden seine Bücher trotzdem nicht wirklich. Denn da ist eines, es heißt „Fünf Hunde erben 1 Million“, es ist ein absolut verrücktes, Maßstäbe setzendes Bilderbuch. 1978 ist es erschienen, und wahrscheinlich würde sich heute kein einziger Verlag mehr dafür finden. Dabei ist doch alles so klar: Die alte Dame ist steinreich und vererbt ihren Hunden alles. Die entfernten Verwandten wollen das so gar nicht und greifen zu jedem Mittel, um sich das Erbe unter den Nagel zu reißen. Gelingt aber nicht! Zum Glück ist Hans Traxler auch ohne Neuauflagen dieses Buches bekannt. Heute würde niemand so eine krude Geschichte, in der alles durcheinander gerät, seinen Kindern zumuten wollen. Befreiend ist es, und lustig.   

 

Und nun ist es doch wieder lieferbar! Die edition buntehunde hat es möglich gemacht. Eine Riesenchance für Kinderbuchfreunde!

Hans Traxler:

Fünf Hunde erben 1 Million

edition buntehunde 2008

32 S., 19,80

ISBN 978-3934941502

 

Hoch

 

 

Für besondere Geschmäcker: "Meat"

 

(Librikon) „meat“ von Sabine Hui ist ein Buch, das von Phantasie und Unabhängigkeit lebt. Nicht leicht zugänglich, mit bunten, fressenden Tieren auf schwarzem Hintergrund. Übersättigt davon? Nie! Für besondere Geschmäcker.

Sabine Hui: meat, ISBN 3-905222-74-4

 

 

 

Hoch

 

 

In die Hände von freiheitsliebenden Kindern:

"Dreißig Geschichten von Tante Mila"

 

(Librikon) Bei den herrlichen kleinen Geschichten von Ursula Wölfel kann man erleben, was Kindern beim Lesen einfällt – im hohen Bogen weg mit dem Buch und hinaus ins Abenteuer. Was für eine Freiheit! „Dreißig Geschichten von Tante Mila“ hat Ursula Wölfel geschrieben, und in die Hände von freiheitsliebenden Kinder damit! Sofort!

„Mila stand also vor der Stadtbücherei, und sie hatte schon den Türgriff in der Hand, da dachte sie: „Nein! Von all dem, was in den Büchern steht, will ich endlich einmal etwas erleben, richtig erleben!“ 

 

 

 

Hoch

 

"Gehen Sie mir nicht mit Marketingkonzepten auf die Nerven"

Interview mit Haakon Auster (Hammerfest), Illustrator:

 

Treffen mit einem Riesen von Mann. Alles an ihm –Gesten, Kleidung, Gehabe – fordert die erste Frage heraus.

 

Librikon: Spinnen Sie?

 

Auster: Ja. Also, ich habe manchmal wirklich das Gefühl, dass ich nicht alle Tassen im Schrank habe. Nicht, dass ich Stimmen höre oder so etwas, nein, aber ich lebe häufig in einer Nebenwelt. Ich bin darüber nicht unglücklich, aber es kostet so viel Zeit. Ich wäre lieber in dieser Welt vollständig anwesend. Ich spinne vielleicht in dem Sinne, dass ich nicht mit Gesellschaft, mit anderen Menschen umgehen kann, ich bin eine Eigensorte.

 

Librikon: Denken Sie nie daran, dass ein Verlag die Bücher, die Sie illustrieren, auch verkaufen muss?  

 

Auster: Überhaupt nicht. Nie. Dass ich unverkäuflich bin, das weiß ich. Das einzige, was ich zum Ausdruck bringen kann, ist irgendwie eine reizvolle Form der Freiheit. Das mögen nicht viele, aber manche, einige, wenige. Gehen Sie mir nicht mit Marketingkonzepten auf die Nerven.

 

Librikon: Warum brechen Sie alle Regeln? Wie schafft man es, extra einen so ungekonnten Strich zu haben? Ein solches Cover zu entwerfen?

 

Auster: Das erstaunliche ist – nichts ist extra. Ich kann nichts, aber manchmal stehe ich auf, gehe zu meinem Zeichentisch, und dann schaffe ich es ab und zu, einen guten Strich zu Papier zu bringen.

 

Librikon: Gibt es irgendein Buch, das ähnlich karg illustriert ist wie „Sati“?

 

Auster: Ich habe zuhause einen ganzen Stapel illustrierter Bücher, die kein Mensch kennt. Aber mir ist bisher nur ein einziger bekennender Unverkäuflichkeitsverlag begegnet, für den musste ich einfach illustrieren. Eine Sache der Ehre. Die füllen jetzt wahrscheinlich ihr Lager für die nächsten 30 Jahre.

 

Das Interview führte für Librikon Lennart Ragmann.

 

Hoch

 

 

Hat das spießige Gesicht der Kinderbuchwelt verändert: "Der Zauberstrand"

 

(librikon) Crockett Johnson befreite das Kinderbuch, unübersehbar, unüberlesbar in "Der Zauberstrand". Maurice Sendak schreibt in seinem Nachwort zu dem Buch:

"Wie kommen diese aufgeweckten, an Samuel Beckett erinnernden kleinen Menschlein in ein Kinderbuch der sechziger Jahre? Sie sind besonders gewitzt und haben offenbar keinerlei Schwierigkeiten mit einer Welt, die zugleich wirklich und unwirklich ist – mit einer literarischen Welt, die von den meisten Erwachsenen geleugnet wird, weil sie die Kraft der Einbildung und den Glauben an das Eingebildete verloren haben. Ann und Ben sind Crockett Johnsons Kopf entsprungen, dem unvergessenen Erfinder von Barnaby und dem berühmten Harold mit der lila Kreide, den zwei klugen Burschen, die das spießige Gesicht unserer Kinderbuchwelt verändert haben. Wenn es nach diesen Kindern ginge, wäre uns allen, Erwachsenen und Kindern, erlaubt, in der von jedem Einzelnen gewünschten Welt zu leben, in der realen wie in der eingebildeten gleichermaßen." 

 

Hoch

 

Mit Hirn und Drang zum Unorthodoxen: "Wie der Neandertaler den Kebab erfand"

 

(librikon) Meir Shalev entlässt das Kinderbuch in die künstlerische Freiheit. Er fügt Details ein, die die Eltern jeden Schweiß zur Erklärung kosten, er veralbert das Leben der Erwachsenen, er rauscht durch die Menschheitsgeschichte, ohne diesen Impetus pädagogischen  Mittelmaßes. Für Eltern und Kinder mit Hirn und Drang zum Unorthodoxen.

 

 

 

 

Hoch

 

 

   
 

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